Wie man EU Abgeordnete auf hohem Niveau belügt oder täuscht

Vielleicht hat der eine oder andere die Sitzung des EU Auschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz am 30.05.2013 bezüglich der geplanten Tabakdirektive verfolgt.1

Bei dieser Sitzung wurde auch die EZigarette angesprochen und wieder einmal haben viele Abgeordnete kritische Fragen gestellt, welche leider nicht immer offen beantwortet wurden.
Den sprichwörtlichen Vogel schoss dabei der Vertreter der EU-Kommission Dr. Dominik Schnichels ab, welcher als letzter ein Statement abgeben durfte:

Er wies auf einen Bericht an die franz. Regierung2 hin, welcher wiederum auf die Studie E-Cigarette: A New Tobacco Product for Schoolchildren in Paris verweist.3

Dr. Dominik Schnichels:

Vor zwei Tagen wurde der franz. Regierung eine Studie vorgelegt – vielleicht haben Sie die gesehen – 64% der 12 bis 14jährigen, hieß es in dieser Studie, hatten noch nie geraucht – hatten aber schon einmal mit der Elektronischen Zigarette zu tun gehabt.Die Situation hat sich also geändert! In der Vergangenheit wurden EZigaretten nur genutzt von Leuten die mit dem Rauchen aufhören wollten, aber das ist nicht mehr so. Unsere Bedenken haben sich bestätigt. Es handelt sich jetzt um ein Verbrauchs/Konsumgut das für junge Leute attraktiv ist und wir müssen gegen sie vorgehen.

Das was der nette Herr da sagt, ist starker Tobak (der geneigte Leser möge mir das Wortspiel verzeihen). Immerhin behauptet er damit, dass die EZigarette in der Vergangenheit nur von Leute genutzt wurde um mit dem Rauchen aufzuhören und das jetzt Kinder mit der EZigarette anfangen.

Geradezu lächerlich wird diese Aussage, wenn man weiß, dass es gerade einmal 12 Jugendliche waren, aus denen diese Warnung konstruiert wird.

12 von 2834 Befragten – Wie kommt man da auf 64 %?

Insgesamt 3409 Schulkinder (Alter 12 bis 19, davon waren 49,5% Mädchen) wurden im ersten Quartal 2012 befragt: „Hast Du schon einmal eine EZigarette ausprobiert?“. Das Ergebnis wurde in der Studie „E-Cigarette: A New Tobacco Product for Schoolchildren in Paris“ verarbeitet.

Von den 3409 Schulkindern haben:

2557 – Die EZigarette nie genutzt.
575 – Keine Antwort auf  Frage gegeben.
277 – Die EZigarette ausprobiert.

Von den 277 Schülern, welche die EZigarette ausprobiert haben, hatten 47 nie Tabakzigaretten benutzt (waren also “pure” Nichtraucher – keine Ex-Raucher oder Gelegenheitsraucher).
Damit waren von diesen Jugendlichen, welche die EZigarette ausprobiert haben, lediglich 17 % “pure Nichtraucher”

Interessant wird es im Detail

Aus der Studie:

The percentage of teenagers reporting experimentation of e-cigarettes is
6.4% for 12 – 14-year-old schoolchildren,
11.8% among 15 – 16-year-olds,
19% among 17-year-old and drops down to
9.3% for the 18 – 19-year-old schoolchildren.

Bedeutet letztendlich:

Bei den 12 – 14-jährigen haben
6.4% mit der EZigarette experimentiert.
93.6 % nicht mit der EZigarette experimentiert.

Bei den 15 – 16-jährigen haben
11.8% mit der EZigarette experimentiert.
88.2% nicht mit der EZigarette experimentiert.

Bei den 17-jährigen haben
19% mit der EZigarette experimentiert.
81% nicht mit der EZigarette experimentiert.

Bei den 18 – 19-jährigen haben
9.3% mit der EZigarette experimentiert.
90.7% nicht mit der EZigarette experimentiert.

Weiter aus der Studie:

The experimentation rate ofe-cigarette changes accor-
ding to smoking status (Chi-2 test, P< 0.05): 4.4% of
non-smokers, 16.4% of occasional smokers, 19.6% of ex-
smokers and 33.4% of regular smokers have tried using
e-cigarettes. But as smoking regular cigarettes is low in
12 – 14 year old schoolchildren, 64.4% of those who tried
e-cigarette in these young teenagers are not regular ciga-
rette smokers.

Bedeutet:

Von den Nichtrauchern haben
4.4% mit der EZigarette experimentiert.
95.6% nicht mit der EZigarette experimentiert.

Von den Gelegenheitsrauchern haben
16.4% mit der EZigarette experimentiert.
83.6% nicht mit der EZigarette experimentiert.

Von den Ex-Rauchern haben
19.6% mit der EZigarette experimentiert.
80.4% nicht mit der EZigarette experimentiert.

Von den Rauchern haben
33.4% mit der EZigarette experimentiert.
66.6% nicht mit der EZigarette experimentiert.

Folgerichtig
Von den oben genannten 6.4% bei den 12 bis 14-jährigen, welche die EZigarette ausprobiert haben, waren 64.4 % keine Raucher (sondern Nichtraucher, Ex-Raucher oder Gelegenheitsraucher).

Diese 64.4 % sind es, mit denen jetzt „Stimmung gemacht“ wird.

Die Jugendlichen Nichtraucher im Alter von 12-14 Jahren
277 Heranwachsende antworteten, dass sie die EZigarette ausprobiert haben.
Wenn wir jetzt also von der Altersgruppe „12 bis 14“ ausgehen, die einen Anteil von 6,4 % der 277 ausmachten – wären das 17.73 Schüler in der Altersgruppe „12 bis 14“, welche bereits „aktive Erfahrung“ mit der EZigarette gemacht haben.

Von diesen 17.73 Schülern sind laut der Studie 64.4 % keine Raucher (sondern Nichtraucher, Ex-Raucher oder Gelegenheitsraucher). Das wären nach meinen Berechnungen 11.41 Schüler.

Runde ich das ganze großzügig nach oben auf, komme ich damit auf 12 Nichtrauchende Schüler, welche die EZigarette bereits ausprobiert hatten. Da in der Studie, die Rohdaten nicht genannt werden bleibt offen ob diese nun Ex-Raucher, Nichtraucher oder Gelegenheitsraucher sind.

  • Wenn wir von der Gesamtanzahl der Befragten (3409) ausgehen, wäre das ein Anteil von 0.35 %.
  • Wenn wir von der Gesamtanzahl der Befragten, die auch eine Antwort gegeben haben, ausgehen (2834) wäre das ein Anteil von 0.42 %.
  • Wenn wir von der Gesamtanzahl der Jugendlichen, die bereits Erfahrungen mit der EZigarette gemacht haben, ausgehen (277), wäre das ein Anteil von 4.33 %.

Und daraus machen die Autoren der Studie diese 64%…. Und genau das verbreitet jetzt auch die EU-Kommission.

Dabei waren das lediglich 12 Jugendliche in der Altersgruppe „12-14 Jahre“. 12 Jugendliche von insgesamt 2834 die eine Antwort auf die Frage gaben „Hast Du jemals eine EZigarette ausprobiert?“

Befragt wurden insgesamt 3409 Jugendliche, jedoch haben lediglich 2834 DIESE  Frage auch beantwortet. Weiterhin bleibt unklar, ob diese Jugendlichen die EZigarette weiterhin genutzt oder sie diese nur einmal ausprobiert haben.

Bei den steigenden Raucherzahlen bei Jugendlichen in Frankreich (welche auch in der Studie genannt werden) wundert es mich, dass das nicht mehr waren.

Mit dieser Studie wird nur eins gemacht: Die desaströse Nichtraucherpolitik der franz. Regierung verschleiert und völlig haltlos die EZigarette als Einstiegsprodukt verteufelt.

Diese Studie (zumindest das Fazit) ist Politik – KEINE Wissenschaft!

In aller Deutlichkeit:
Von 277 Schulkindern, welche die EZigarette ausprobiert hatten, waren 6.4 % im Alter zwischen 12 bis 14. Von diesen 6.4 % waren 64 % Nichtraucher, Ex-Raucher oder Gelegenheitsraucher. 64 % von 6.4 % – das macht nach Adam Ries: 4.1 % der 277.

Dieser Vergleich hinkt jedoch gewaltig, weil hier nur die kleine Gruppe „haben EZigaretten ausprobiert“ hergenommen wurde. Das Ausklammern der Gesamtanzahl und die ausschließliche Betrachtung der kleinen Gruppe, welche schon einmal eine EZigarette ausprobiert haben ist nicht Wissenschaftlich.

Wissenschaftlich wäre es gewesen, wenn man die Anzahl der 12-14jährigen von den 2834 Befragten hergenommen und diese in Relation zur Abschlussaussage gesetzt hätte.

Kein Wunder, dass Prof. Etter bei dem Abschlussbericht an die franz. Regierung sein Veto eingelegt hat, wie man auf Seite 18 lesen kann:

Die Autoren des Berichts danken Jean-François Etter (Genf), Professor für das öffentliche Gesundheitswesen an der Medizinischen Fakultät der Universität von Genf, Politikwissenschaftler und Experte über die Rauchprävention. Prof. Etter war einer der Experten, die an der Vorbereitung des Berichtes teilgenommen haben, nahm an den ersten Treffen teil und trug zu der Debatte über dieses Dokument bei. Er stimmt mit den Schlussfolgerungen und Empfehlungen aus diesem Bericht nicht überein. Jean-François Etter (Genf) hat von einem Hersteller von EZigaretten und Liquiden die Einladung zu zwei Reisen nach London und China (Flug + Hotel) erhalten (erhielt dafür keine finanz. Entschädigung).
(Übersetzung aus dem Französischen – keine Garantie auf Richtigkeit oder Vollständigkeit)

Kopfschüttelnd
Rursus

Update 03. Juni 2013: Heute ist im Laufe des Tages der Originallink zur Studie „E-Cigarette: A New Tobacco Product for Schoolchildren in Paris“ vom Netz genommen worden.
Der genaue Grund entzieht sich leider meiner Kenntnis. Da diese Studie durch den Bericht an die franz. Regierung mehr Menschen und damit auch erheblich mehr Wissenschaftlern bekannt wurde, besteht die Möglichkeit, dass nicht nur EZigarettenkonsumenten (wie z.B. in Frankreich) Kritik an dieser Studie geübt haben.
Jedoch gibt es noch eine Hintertür: Die Studie kann noch unter http://dx.doi.org/10.4236/ojrd.2013.31004 abgerufen werden.

Update 05. Juni 2013: Der Link zur Studie auf http://www.scirp.org/ funktioniert wieder.


  1. Sitzung des EU Auschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz am 30.05.2013 

  2. Abschlussbericht an die franz. Regierung 

  3. E-Cigarette: A New Tobacco Product for Schoolchildren in Paris 

Comments

  1. Egot Dampfer
    2. Juni 2013 - 7:01

    vielleicht hätte man gleichzeitig mal Fragen sollen wie viele von den Jugendlichen schon Tabakzigaretten geraucht oder ausprobiert haben

  2. Wieder mal ein sehr lesenswerter Artikel mit dem gewissen Etwas, auf welchen ich mich schon ein paar Tage gefreut habe!
    Bleibt zu hoffen, das die Politik die Wissenschaft auch in dieser Sache künftig nicht einvernehmlich untergräbt und weiter scheibchenweise annektiert. Ein paar wenige klügere Köpfe scheinen ja durchaus noch mit Rückgrat (oder gehört das vieleicht doch schon mit zur „Politik“?).
    Man darf wohl weiterhin sehr gespannt sein, was die hoh(l)en Eurokraten in Brüssel sich als nächstes einfallen lassen, um uns noch tiefer ins Liquid zu pieseln…
    Dank Dir zumindest vielmals für den Faktencheck, Rursus!

  3. warum verschweigst du uns denn diesen Teil der Wahrheit ?

    Experimentation of e-cigarette is more frequent among a 12 – 15-year-old teenage population who have ever used shisha (RR = 6.75; IC 95%: 4.84 – 9.41) and much more frequent in the 16 – 19-year-old population who have ever used shisha (RR = 14.81; IC 95%: 7.54 – 29.06).
    Experimentation of e-cigarettes is more frequent in the 12 – 15-year-old teenage population who had ever used cannabis (RR = 5.52; IC 95%: 4.15 – 7.35) and as the 16 – 19 year old population (RR = 9.09; IC 95%: 6.12 – 13.50).
    Experimentation of e-cigarette is more frequent in 12 – 15-year-old teenagers who had experimented more than 4 times with more than 3 alcohol glasses the same day (RR = 8.60; (IC 95%: 5.71 – 12.96) as in the 16 – 19 year old population (RR = 3.44; IC 95%: 2.94 – 4.03).

    MfG Achim

    • Verschweigen? Was denn?
      Mir ging es um die blödsinnigen „64%“.
      Außerdem habe ich auf die desaströse Nichtraucherpolitik der franz. Regierung hingewiesen und dass hier völlig haltlos die EZigarette als Einstiegsprodukt verteufelt wird.

  4. Ingolf Pärcher
    3. Juni 2013 - 13:11

    Irgendwo habe ich mal gelesen, daß in Berlin das Rauchereinstiegsalter bei 11,6 Jahren liegt.
    Wenn man bedenkt, wie einfach es sein dürfte, als Minderjähriger an Kippen heranzukommen und sich doch die meisten EGarette- Händler eher dagegen sträuben, Liquids an Kiddies herauszugeben als die Teilzeitkraft an der Tanke.

    Eigentlich wär’s einfach, nachgewiesener Rauchtabakwaren- Verkauf an Kiddies führt zu teurem Schuß vor den Bug, beim zweiten Verstoß wird der Laden dichtgemacht. Geht auch bei Kiosks, Supermärkten usw.

    Aber das wird nicht gemacht. So gehen viele Kiddies „an den Haken“.
    Kann man rausgoogeln.

  5. Ingolf Pärcher
    3. Juni 2013 - 13:20

    Schon wieder ein Doppelposting, sorry!
    Unter den Kiddies ist die EGarette als „Elektroschnuller“ verschriehen, uncool und nicht „verboten genug“.

    Also ich würde mal sagen, als „Einstieg“ in die Raucherkarriere taugt sie nicht – zumindest für Kiddies.

    Ohne konkrete Zahlen, einfach nur Verstand – davon fehlt’s in der EU anscheinend.

  6. Es hat schon eine morbide Faszination, mit welcher Hartnäckichkeit diese Ideologie verbreitet wird. Dass diese Studie überhaupt kein Beleg für ein „Gateway“ ist, kann man ja schon schön in Einstiegsdroge EZigarette? – Pustekuchen! lesen. Und jetzt wird uns wieder diese „schockierende Erkenntnis“ als brandneu verkauft, weil ein paar der Ideolügner – wider besseren Wissens – einen entsprechenden „Bericht“ verfasst haben und sich schamlos darauf beziehen.

  7. Nachmeiner Meinung ist eine wichtige frage in der Studie nicht gestellt worden. War in der von den Jugendlichen konsumierten E-Zig Nikotin?
    Nikotin ist wohl die größte Gefahr beim Rauchen. Eine Zigarette löst mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kein Krebs aus. Nur durch die Sucht konsumiert man Zigarette nach Zigarette, was das Krebs Risiko stark steigert.
    Raucht ein Kind eine E-Zig ohne Nikotin, dan tut es dieses einmal oder mehrmals wird aber nicht abhängig. Daher ist eine E-Zig die ohne Nikotin ist keine Drogen, da keine (körperliche) Abhängigkeit auftreten kann. Ich hab als Kind Blätter geraucht, was bestimmt nicht Gesund war, aber hab erst mit 20 das Rauchen angefangen. Hierbei halte ich einen zusammenhang für nicht wahrscheinlich.

    Ein seit 3 Wochen glücklicher E-Raucher.

    (Wichtig: Unter 18 sollten keine Pyros oder E zig verkauft werden!!! Dieses soll niemanden animieren die E-Zig als Nichtraucher ob mit oder ohne Nikotin zu probieren. Die E-Zig ist weniger schädlich als eine Pyro, aber ich kann sagen das sie unter keinen Umständen Gesundheitsfördern ist.)

  8. Auch gibt es erhebliche Zweifel ob Nikotin wirklich so süchtig macht wie man uns gerne verkauft.
    Die Suchtverstärkende Wirkung von anderen Stoffen in der Tabakzigarette wurde schon durch eine Studie bestätigt.
    Bisher hat man aber fast ausschliesslich Nikotin in Verbindung mit Tabak untersucht und so gut wie nie das Nikotin als einzelnen Stoff.

  9. „Altersgruppe „12 bis 14“ (…), die einen Anteil von 6,4 % der 277 ausmachte“ FALSCH
    „Von 277 Schulkindern, welche die EZigarette ausprobiert hatten, waren 6.4 % im Alter zwischen 12 bis 14.“ FALSCH.

    Bitte nochmal die einschlägige Passage in der Studie studieren.
    Textverständnis: 6. Setzen.

    • Hallo!
      Anstelle hier so ein unfreundliches Fass aufzumachen, lege doch einfach Deine Berechnung vor. 🙂

      Sozialkompetenz: 5- ?

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