Mäuse, Menschen und subjektive Wissenschaftler
Am 4. Februar 2015 wurde eine neue Studie über die Auswirkungen von E-Zigarettendampf veröffentlicht:
- Sussan TE, Gajghate S, Thimmulappa RK, Ma J, Kim J-H, et al. (2015) Exposure to Electronic Cigarettes Impairs Pulmonary Anti-Bacterial and Anti-Viral Defenses in a Mouse Model. PLoS ONE 10(2): e0116861. doi:10.1371/journal.pone.0116861
Um hier ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, werde ich den Versuchsaufbau erklären, um dann über die tatsächlichen Auswirkungen des untersuchten Dampfs zum größten Lacher in der angeführten Studie zu kommen: Den freien Radikalen.
Versuchsaufbau
Die Forscher haben 20 Mäuse genommen und diese in zwei Gruppen zu je 10 aufgeteilt. Beide Gruppen wurden jeweils in eine eigene, zwei Liter Luft fassende, Kammer gesetzt.
Eine Gruppe wurde im Testzeitraum (zwei Wochen) zwei mal am Tag für 90 Minuten gefilterter Luft ausgesetzt. Die anderen 10 Mäuse wurden, für den selben Zeitraum, zwei mal am Tag E-Zigarettendampf ausgesetzt, der in die Kammer eingelassen wurde.
Der E-Zigarettendampf wurde mittels einer für E-Zigaretten angepassten „Abrauchmaschine“ aus sog. „Cig-a-likes“ (E-Zigaretten in Zigarettenform) mit Nikotinhaltigen Liquid (18mg/ml) gewonnen.
Die benutzte Abrauchmaschine kann auf einem rotierenden Karussell bis zu 30 Zigaretten fassen. Für diesen Test wurde die Maschine mit sechs E-Zigaretten bestückt und so programmiert, dass diese einen zwei Sekunden andauernden Zug aus einer E-Zigarette entnimmt, zur nächsten E-Zigarette fährt und nach 10 Sekunden aus der nächsten E-Zigarette wieder einen zwei Sekunden andauernden Zug nimmt. Auf diese weise wurden insgesamt sechs Züge pro Minute mit einer Luftflussrate von 1,05 Litern/Minute gewonnen und in die mit Mäusen besetzte Kammer geleitet.
Um eine kontinuierliche Dampfgewinnung/Liquidfluss zu gewährleisten, wurde die Dampfmenge automatisch überwacht. Das resultierte darin, dass die Mäuse die selben Cotininwerte (Hauptstoffwechselprodukt von Nikotin) wie ein durchschnittlicher E-Zigarettenkonsument hatten.
Nach dem Ablauf der zwei Wochen wurden aus beiden Gruppen Mäuse mit
- Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae (welche schwere Infektionen verursachen) und
- dem H1N1-Schweinegrippenvirus (welcher die Pandemie von 2009 ausgelöst hat) infiziert und kurze Zeit später untersucht.
Aus den Untersuchungsresultaten erhofften sich die Wissenschaftler Aussagen über die Atemwegsreaktionen und Antibakterielle Wirkung von E-Zigarettendampf. Außerdem wurde der Dampf auf „freie Radikale“ untersucht.
Kritik
Insgesamt gesehen ist der Versuchsaufbau meiner Meinung nach sauber. Da lässt sich nichts dran kritisieren: Alles ist nachvollziehbar und logisch aufgebaut.
Was man jedoch kritisieren kann, ist die Art und Weise wie hier (wieder einmal) kleinste Reaktionen und Kleinstmengen quasi von Moskitos zu Elefanten aufgeblasen werden.
So titelt z.B. Focus Online „Freie Radikale im Dampf: Forscher fürchten: E-Zigaretten machen anfälliger für die Grippe“ und behauptet, dass E-Zigaretten im Tierversuch Lungenentzündungen auslösten und die untersuchten Tiere nach dem Einatmen anfälliger für Infektionen waren.
Das ist jedoch blanker Unsinn, da erstens nicht die E-Zigaretten die Lungenentzündung auslösten, sondern die Forscher die Tiere mit den Viren und Bakterien infizierten und zweitens die Anfälligkeit für Infektionen nach dem E-Zigarettendampf relativ klein war.
Fakten aus der Studie
Wie der Kardiologe K. Farsalinos in seinem Blog schreibt, stellten sich die Untersuchungsergebnisse „nicht ganz“ so dar, wie zuletzt in den Medien zu lesen war:
Was die Atemwegsreaktionen betrifft, war laut Studie lediglich ein Anstieg bei den Entzündungszellen statistisch signifikant. Bei den Entzündungsmediatoren (das sind körpereigene Stoffe, die eine Entzündungsreaktion des Körpers einleiten oder aufrechterhalten) war kein Unterschied zwischen der Mäusegruppe die E-Zigarettendampf und der „Frische Luft-Gruppe“ zu sehen.
Was die Infektionen angeht, war in der E-Zigarettengruppe ein verminderten Abbau von Infektionserregern und eine langsamere Regeneration zu beobachten. Die Zellsterblichkeitsrate war in der E-Zigarettengruppe zwar leicht erhöht aber nicht statistisch signifikant gegenüber der Kontrollgruppe, welche lediglich Luft einatmen musste.
Freie Radikale
Freie Radikale sind Moleküle mit einem ungepaarten Elektron. Diese versetzen biologisches Gewebe in sog. „oxidativen Stress“ und können es so zerstören. Diesen Effekt kennt nahezu jeder bei Äpfeln: Schneidet man diesen in zwei Hälften, werden sich die Schnittflächen innerhalb von kurzer Zeit braun verfärben.
Die Autoren der Studie haben nun in dem E-Zigarettendampf 7×1011 freie Radikale gefunden. Das sind 7 mal eine 1 mit 11 Nullen oder auch 7 mal 100.000.000.000 oder einfach gesagt: 700 Milliarden freie Radikale. Das ist zunächst eine sehr hohe, gerade zu unvorstellbar hohe Anzahl. Doch wie immer gilt: Es kommt auf die Vergleichsmenge an!
Wenn man die 7×1011 im E-Zigarettendampf mit den in der Studie angegebenen 1014 freie Radikale (oder in anderen Studien bis zu 1017) vergleicht, die in Tabakrauch gefunden worden sind, wird die Zahl schon etwas weniger bedrohlich und weitaus anschaulicher. 1
- Gefundene freie Radikale in E-Zigarettendampf: 700 Milliarden (7×1011).
- Gefundene freie Radikale in Tabakrauch: 100.000 Milliarden (1014) bis 100.000.000 Milliarden (1017).
Bedeutet: Im E-Zigarettendampf wurden ca. 150 bis 142.857 mal weniger freie Radikale gefunden, als in Tabakrauch.
Um das ganze zu visualisieren, hier die angegebenen Werte von Sussan TE und Kollegen in einem Balkendiagramm mit einer Skala von 0 bis 100.000 Milliarden:
Laut dieser Studie enthält E-Zigarettendampf 6 Größenordnungen weniger freie Radikale als Tabakrauch.
Interessante Information am Rande: Wir sind quasi von diesen freien Radikalen umgeben. In der normalen Atemluft in Europa ist pro m3 ca. 1012 mal „Hydroxyl-Radikal“ (OH•) und ca. 1014 mal das freie Radikal „Dioxidanid“ (HO2•) enthalten.2
Um das Bild abzurunden, füge ich noch die 1.000 Milliarden OH• und 100.000 Milliarden HO2• in das Balkendiagramm ein, welche in dieser durchschnittlichen Hintergrundkonzentrationen in der Atemluft in Europa vorhanden sind.
Irgendwie sieht das für mich nicht gerade nach einem Beweis für eine besondere Schädlichkeit der E-Zigarette aus. Im Gegenteil: Wieder einmal wurde hier der Beweis erbracht, dass die E-Zigarette sehr viel unschädlicher als die Tabakzigarette und in diesem Fall sogar, dass der Dampf einer E-Zigarette weniger freie Radikale enthält, als in der durchschnittlichen Atemluft sowieso vorhanden sind.
Wer aus den Daten dieser Studie bedenkliche Schlagzeilen gegen die E-Zigarette bastelt: PFUI!
Rursus
PS Um die Anzahl der freien Radikale im E-Zigarettendampf zu bestimmen, haben die Forscher auch die Anzahl der freien Radikale in der Laborluft gemessen und diese Zahlen verglichen. Leider steht in der Studie nichts davon, wie viele freie Radikale in der Laborluft vorhanden waren (bzw. ich habe die Angaben in der Studie nicht finden können).
Quellen
David Bernhard: Cigarette Smoke Toxicity: Linking Individual Chemicals to Human Diseases, 2011 oder auch hier als Leseprobe bei Google Books ↩
Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg: Zusammensetzung der Luft, 2013 ↩
Zillatron
11. Februar 2015 - 12:24
Noch ein wichtiger Punkt: „E-cig cartridges were replaced each week“
Das heißt, laut Versuchasaufbau hat die Maschine täglich 2*90=180 Züge gemacht. Also wurden die Kartuschen nach 7*180=1260 Zügen gewechselt. Ich nehme an, dass diese Kartuschen ähnlich viel (oder wenig) Liquid enthalten wie die Wegwerfprodukte des gleichen Herstellers. Für diese gibt er eine Lebensdauer von 180 Zügen an. Spätestens nach zwei Tagen bestand der Dampf wohl zu großen Teilen aus Kartuschenwatte.
Rursus
11. Februar 2015 - 12:27
Nicht ganz….
Die Kartuschen wurden also ausgewechselt, sobald die Automatik einen Abfall in der Dampfproduktion entdeckte.
Zillatron
11. Februar 2015 - 13:10
Bleibt nur die Frage, was der Automat als „Dampfproduktion“ interpretiert hat. Verdampfte Watte qualmt auch. Woran es diesen ganzen Rauchautomaten mangelt, ist ein zuverlässiger „Dry Puff“-Sensor. Bei Zigaretten unnötig, wäre sowas für eine realistische Simulation des Dampfens unerläßlich.
Rursus
11. Februar 2015 - 13:51
Da in diesen Cig-a-likes keine Watte, sondern eine Glasfaser als Docht enthalten ist, dürfte sich diese Frage hier nicht stellen.
Bei einem „Dry Hit“ würden da wohl Brutzelprodukte entstehen – Jedoch würde der Sensor hier relativ schnell anspringen, da kein Aerosol mehr entsteht. Nichtsdestotrotz pflichte ich Dir bei: Einige Dry Hits sind da wohl wirklich geschehen.
Frank Kolesza
11. Februar 2015 - 13:42
Vielen Dank, Rursus.
Du hast wieder einmal einer vermeintlich gefährlichen und bedrohlichen Studie den Schrecken genommen. Deine Art und Weise einem Nichtwissenschaftler diese wissenschaftlichen Ausführungen näher zu bringen ist immer schön zu lesen.
Eliquid
13. Februar 2015 - 17:49
Zillatron hat die richtige frage gestellt: „Bleibt nur die Frage, was der Automat als “Dampfproduktion” interpretiert hat. Verdampfte Watte qualmt auch. Woran es diesen ganzen Rauchautomaten mangelt, ist ein zuverlässiger “Dry Puff”-Sensor.“
Rursus Antwort find ich aber unsicher… Wisst ihr was neues?
Rursus
13. Februar 2015 - 18:05
Da ist nichts unsicher – Oder kennst Du eine Cig-a-like mit Watte innerhalb der Heizwendel?
Kucky
21. März 2015 - 0:44
Das Depot einer Cig-a-like besteht aus Watte. Hatten wir doch zu Beginn des Dampfen auch Watteverdampfer. War da nicht mehr genug Liquid drinn hat das sehr brandig geschmeckt und der Verdampfer war hin.
Rursus
31. März 2015 - 8:30
Das Depotmaterial hat jedoch keinen Kontakt zur Heizwendel und wird somit auch nicht „verbrannt“.
Nicki
12. April 2015 - 4:34
Es ist wie so oft, mann liest und kann es kaum glauben.
Studien, wie diese, die das gegenteil von dem wohl erhofften ergeben und dann völlig falsch in der Presse den Menschen verkauft werden.
Zu: PS. …wie viele freie Radikale in der Laborluft vorhanden waren…
Dazu ein Bericht im Focus, Zitat: „…Über die Atemluft inhaliert ein Mensch im Schnitt täglich mehr als 300-mal so viele freie Radikale wie im Qualm einer Zigarette stecken…“
Quelle: focus.de/gesundheit/ratgeber/krebs/news/lungenkrebs-luft-wirkt-wie-zigarettenrauch_aid_325776.html
Sascha R.
29. Mai 2015 - 8:34
Ich hatte mich bei der Website des Herstellers der E-Zigaretten welche für die Studie benutzt wurden, erkundigt welches Liquid genutzt wurde und mal abgesehen davon, dass es ein sehr neuer Hersteller ist, wurde mir gesagt, dass sie dort liquid mit 40mg/ml nicotin verwendet hatten.
Solwand
27. Juni 2015 - 19:33
Zu Nicki und dem Zitat aus dem Fokus, habe ich noch eine kleine Ergänzung von der Landesanstalt für Umwelt des Landes Baden-Wuerttemberg. Freie Radikale wurden in der Atemluft für „OH“ 10 hoch 12
und für „HO2“ 10 hoch 14 gemessen. https://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/18340/
Dahingehend machen sich die 700 Milliarden im Dampf der Dampfe, nicht wirklich bedenklich.
Freie Radikale in der Nahrung und der Umwelt, wären mal ein Extra Artikel wert, mal sehen ;).
Rursus
27. Juni 2015 - 21:03
Hallo Daniel,
ich hatte die Zahlen und den Link zur LUBW zwar schon im Text aber ich werde mal schauen ob ich das noch nachträglich in den Text einbauen kann 😉
Solwand
28. Juni 2015 - 15:35
Hallo Jens, muss ich wohl übersehen haben.
Naja, wer lesen kann ist wohl klar im Vorteil^^.
Kompliment an das graphische Upgrade zur normalen Raumluft, denn das kommt jetzt so richtig gut rüber im optischen Vergleich.
Es ist immer was anderes, wenn man den Unterschied sieht, anstatt „nur“ abstrakte Zahlen zu betrachten, denn viele können sich kein wirkliches Bild davon machen wenn die Potenz anstelle einer 11, eine 12 oder gar 14 aufweist. Die Optik unterstreicht dann deutlich, wie lächerlich die Warnung im Grunde ist. Danke nochmals für deine Mühen.
Schöne Grüße und Vape on
Daniel